Andrey Gordasevich & Nils Krauer


QUICKGOLD


Hinter den Kulissen des Goldabbaus in Madre de Dios, Peru
"Quickgold" erzählt, wie und durch wen Gold - Symbol für Reichtum - abgebaut wird. Dieser visuellen Geschichte liegt der Alltag der Goldwäscher in der Region Madre de Dios im peruanischen Regenwald zugrunde, aber es geht um viel mehr. Im Titel "Quickgold" verschmelzen die Wörter "Gold" und "Quicksilver" (Quecksilber), das zur Goldwäsche verwendet wird.

"Quickgold" ist ein Projekt des russischen Fotografen Andrey Gordasevich und des Schweizer Soziologen Nils Krauer.
Fotografien dokumentieren nicht die objektive Realität, Texte beschreiben nicht die Umwelt... Der Fotograf ist nur das Medium für das beobachtende Auge.
Julio del Valle, Professor der Päpstlichen Katholischen Universität in Peru PUCP
Panorama im Goldabbaugebiet, Region Rio Pukiri
Gold - wohl bekannt in Form von Schmuck und Wertgegenständen - entstammt scheinbar unauffälliger Erde und beginnt zu glänzen, indem es buchstäblich vom Schmutz befreit wird. Der Kleinbergbau fördert knapp 20% des weltweit gewonnenen Goldes, aber stellt 90% der Arbeitskräfte in dieser Industrie, was 100 Millionen Menschen zu Arbeit verhilft. Häufig leiden Arbeiter im Kleinbergbau unter Armut und Marginalisierung. Die illegale Tätigkeit verschafft ihnen ein verhältnismässig höheres Einkommen, aber die unregulierte Ausbeutung der natürlichen Ressourcen führt zu sozialen und ökologischen Problemen.
Hinter den Kulissen des Goldabbaus gehen wir dem Alltag der Goldwäscher nach, ihren Geschichten und Ansichten, ohne jemanden verurteilen oder rechtfertigen zu wollen. Denn rund um den Kleinbergbau werden Lebensläufe sichtbar, welche die nähere Betrachtung und den Versuch, sie zu verstehen, wert sind.
"Onkel Koka" (72) wäscht Gold seit er 16 ist. Wegen der Gicht kann er seine Finger nicht mehr richtig strecken.
Goldabbau ist Handarbeit. Sie prägt dabei die Natur und die Menschen, aber Fingerabdrücke können auch zum Identitätsnachweis verwendet werden. Ebenfalls mit der Identität verbunden ist das Thema des Erbes der Inkas, bei denen Gold eine sakramentale Rolle spielte. In "Quickgold" werden die Wurzeln der Inkazivilisation nicht als historische Erzählung wiedergegeben sondern als Echo dieser Kultur in der Gegenwart, der Menschen, der Gegenstände und der Natur, die sie umgeben.
 
 
 
 
Schichtende: Die Goldwäscher in Rio Pukiri sammeln den goldhaltigen Sand ein, indem sie ihn aus den Teppichfasern schütteln.
 
 
 
 
Schichtende: Die Goldwäscher in Rio Pukiri sammeln den goldhaltigen Sand ein, indem sie ihn aus den Teppichfasern schütteln.
Bewusst oder nicht - die heutigen Goldwäscher bearbeiten den gleichen Boden wie ihre Vorfahren Jahrhunderte zuvor. Aufgrund der Expansion der katholischen Kirche nach der Ankunft der Konquistadoren spürt man das Erbe der Inkas in einigen Regionen Perus kaum mehr. Aber die Camps der Goldwäscher in Madre de Dios werden bis heute stark von vorkolonialen Kulturen beeinflusst. Die Mehrheit der Goldsucher stellen Migranten aus den Berggebieten Cusco und Puno, die früher Zentren der Inkazivilisation waren. In der Glaubensvorstellung der Goldwäscher vermischen sich deshalb Inkatraditionen mit dem Katholizismus synkretistisch.
Ablassamulett für 100 Tage, Peru, 1877
Alle Königshäuser hatten Gärten, in denen der Inka sich erholen konnte. Dort pflanzte man alle lieblichen und stattlichen Bäume, Blumen, duftenden und schönen Pflanzen, die man im Königreich fand, und ihnen gleich in Lebensgrösse wurden eine Vielzahl an Bäumen und anderen kleineren Pflanzen mitsamt ihren Blättern, Blüten und Früchten aus Gold und Silber geschaffen: Manche standen erst in Blüte, andere mit halb oder ganz reifen Früchten in voller Pracht. Unter anderem gab es Maisfelder, die in Lebensgrösse mit allen Blättern, Kolben und Stängeln, mit Wurzeln und Blüten nachgebildet wurden. Ausserdem gab es kleine und grosse Tiere, die aus Gold und Silber gegossen und geformt waren, etwa Kaninchen, Mäuse, Eidechsen, Schlangen, Schmetterlinge, Füchse, Wildkatzen, denn Hauskatzen hatten sie keine. Es gab jede Art von Vögeln: Manche sassen auf den Bäumen, wie wenn sie singen würden, andere schienen herumzuflattern und Nektar aus den Blüten zu trinken. Es gab Hirsche, Löwen und Tiger und alle anderen Tiere und Vögel, die auf der Erde lebten, jedes an seiner Stelle, damit das Original am besten kopiert werden konnte. Unter all dieser Pracht gab es auch Haufen und Beigen von gespaltenem Holz, die in Lebensgrösse aus Gold und Silber nachempfunden waren, wie wenn sie für den betrieblichen Bedarf der Häuser gedacht wären.

Inca Garcilaso de la Vega
(1539–1616)
«Comentarios Reales de los Incas»

Die Peruaner nennen ihr Land "pais minero", "Land der Goldgräber". Die Gewinnung und Weiterverarbeitung von Gold ist die Lebensgrundlage in der Region Madre de Dios. In den Flüssen kann Gold als Kleinstpartikel gewonnen werden, die das Wasser in Folge der natürlichen Erosion von den Felsen der Anden hierher geschwemmt hat. Im Unterschied zu den Goldadern in den Bergen, wo das Edelmetall aus dem Felsen gehauen wird, wäscht man in den Tälern das Bodenmaterial der Flüsse auf Waschrinnen, die mit Teppichen ausgelegt sind, mit Wasser aus. Die Steine werden hinausgefiltert und in den Borsten des Teppichs sammelt sich der goldhaltige Sand, der "Arenilla" genannt wird.
Goldwäscher nehmen die Teppiche von den Waschrinnen
Um das Gold vom Sand zu trennen, mischt man Quecksilber dazu, das die Goldpartikel bindet, so dass ein Amalgamklumpen entsteht. Danach wird dieses Quecksilber-Gold-Gemisch in eine Retorte gelegt und mit einem Gasbrenner erhitzt. Das Quecksilber verdunstet und reines Gold bleibt zurück. In einem Jahr gewinnen 60'000 Goldwäscher bis zu 20 Tonnen Gold in Madre de Dios. In Peru wird 15% des gewonnenen Goldes illegal geschürft und der Gewinn davon ist doppelt so hoch wie der Gewinn aus dem Drogenhandel. Zur Zeit können die Goldwäscher in Madre de Dios ihre Tätigkeit nicht legal ausüben, weil die Gesetze in sich widersprüchlich sind.

Rio Madre de Dios
"Man sagt, dass Quecksilber giftig ist und das Gehirn zerstört, aber das stimmt nicht. Ich spüre nichts davon. Wir tranken Quecksilber, um der Einsamkeit zu entfliehen. Ich schluckte es und vergass meine Probleme."
Don Claudio
58, geboren in Cusco

Don Claudio:
"Ich war damals zwölf und für Feldarbeit erhielt ich einige Cents am Tag. Ich hörte, dass man im Dschungel mehr verdienen könne und machte mich auf den Weg dorthin. Ein Bekannter nahm mich mit. Aber das Klima war nichts für mich: Die Hitze, die Moskitos, die Mücken, das setzte mir alles zu. Ich fuhr deshalb wieder weg. Aber später kam ich zurück und erwarb diese Konzession. Das war 1978. Und jetzt habe ich mich daran gewöhnt."
Don Claudio prüft den Sand auf die Menge der enthaltenen Goldpartikel
Ein Arbeiter mischt mit nackten Beinen das Quecksilber und den Sand in einem Fass
Goldwäscher, die alleine arbeiten, verwenden nur die einfachsten Werkzeuge und arbeiten deshalb ausschliesslich, wenn es hell ist. Bei der motorisierten Gewinnung arbeitet man rund um die Uhr in zwei Schichten zu 12 Stunden.
Flip Flops eines Goldwäschers, Region Madre de Dios
"Auch der abgetrennte Kopf kann noch zubeissen", sagt Don Claudio, nachdem er eine Giftschlange mit der Machete erlegt hat.
Doña Sara:
"Wenn wir eine Schildkröte oder eine Schlange sehen, bedeutet das, dass kein oder nur sehr wenig Gold gefunden wird. Man sagt, wenn man eine Schlange sieht, muss man sie töten, sonst passiert etwas Unheilvolles. Die Leute hier glauben an solche Sachen."
Junge Goldwäscher montieren ihren Motor wieder, den sie zuvor vor der Polizei versteckt haben.

Rio Pukiri
"Wenn du etwas siehst, was Gold sein könnte, dann schnapp es dir schnell, selbst wenn es einer Schlange, selbst wenn es einer Heuschrecke ähnelt. Wenn das Glück dir hold ist, findet dich das Gold von selbst."
Don Lauro
"Der Schnurrbärtige", 53, geboren in Junin

Don Lauro:
Wir sind hier eine Familie. Wenn wir das Gold aus den Teppichen schütteln, sind wir alle gleich. Ich erhole mich vom Arbeitsstress. Die Jungs scherzen, wir unterhalten uns über alles Mögliche und schaffen als Team. Ausserdem ist wichtig, dass wir mit Freude arbeiten und alles richtig machen."
Die Goldpartikel lagern sich in den Teppichborsten ab, über welche die mit Wasser verflüssigte Erde fliesst.
Am Ende der Schicht schütteln die Goldwäscher die Teppiche aus, in deren Borsten sich der Schlamm mit dem Gold abgelagert hat. Sie nennen das "die Stunde der Wahrheit". Dann waschen sie den Schlamm aus, damit nur konzentrierter Sand mit Goldpartikeln zurückbleibt, den sie "Arenilla" nennen. Danach wird diesem Sand Quecksilber beigemischt, um das Gold zu extrahieren. Die Goldwäscher achten die Hierarchie, sogar wenn sie in eine Bar etwas trinken gehen. Normalerweise pflegen die einfachen Arbeiter keinen näheren Umgang mit den Konzessionären. Aber wenn sie zusammen die Teppiche ausschütteln, dann verbindet sie die gemeinsame Aufgabe.
Juan arbeitet in einem der Goldwäschercamps als Wächter
Juan, 30, geboren in Cusco:
"Ich bin abhängig von Koka. Ohne habe ich keine Lust zu arbeiten. Ich kaue die Blätter seit ich 12 bin. Meine Eltern haben Koka angebaut."
Juan hält Kokablätter in den Händen
Die Tradition des Kokablätterkauens ist in den Anden weit verbreitet. Koka wird nicht nur gekaut um den Hunger zu unterdrücken und die Müdigkeit zu vertreiben, sondern auch um der Mutter Erde zu huldigen. Goldwäscher, die aus den Bergen stammen, haben diese Tradition nach Madre de Dios gebracht.
Tonschale mit Gaben der Goldwäscher für die Götter: Süssigkeiten, aromatisiertes Holz, symbolische Kohlestücke, um es zu verbrennen, Region Madre de Dios
Manchmal helfen Kinder den Erwachsenen bei der Goldwäsche
Rio Malinowski
"Es ist wunderbar, alleine als Goldwäscher zu arbeiten; wie wenn du am Badestrand wärest. Natürlich ist es sehr anstrengend, aber man muss ja von etwas leben und so mache ich weiter."
Policarpo Saire Suyo
"Onkel Koka", 72, geboren in Cusco

Policarpo Saire Suyo:
"Ich kam nach Madre de Dios als ich 16 war. Geboren bin ich in Cusco, im Königreich. Mein Nachname Suyo geht auf die Inkas zurück. Diese nannten ihr Königreich "Tahuantinsuyo". In meiner Gemeinde in Paruro, in der Nähe von Cusco, sind die Inkatraditionen noch sehr präsent. Der erste Inka, Manco Cápac, hat unweit von dort eine Siedlung gegründet."
Der Vater der Inkas, Manco Cápac, war der Legende nach der Sohn von Inti, dem Sonnengott, der durch Gold symbolisiert wird, und von Mama Killi, der Tochter des Mondes, die durch Silber symbolisiert wird.
Policarpo schaufelt goldhaltigen Sand auf die Waschrinne, auf der er täglich 8-10 Stunden Gold wäscht
Policarpo Saire Suyo:
"Es ist wunderbar, alleine als Goldwäscher zu arbeiten; wie wenn du am Badestrand wärest. Natürlich ist es sehr anstrengend, aber man muss ja von etwas leben und so mache ich weiter."
Zigaretten eines Goldwäschers, Region Madre de Dios
Verlassenes Camp von Goldwäschern mit einem Fass zum Mischen von Quecksilber und goldhaltigem Sand
Gabel eines Goldwäschers, Region Madre de Dios
Puerto Maldonado
"Also, wir sind in Madre de Dios, übersetzt "die Gottesmutter", und die Hauptstadt hier heisst Puerto Maldonado, übersetzt " im Unguten gegeben". Die Gottesmutter wurde uns im Unguten gegeben. Was mag das heissen?..."
Don Marco
66, geboren in Lambayeque
Don Marco:
"Ich fing an, als Goldschmied zu arbeiten, als ich 17 war... Ich arbeitete auch in Lima, aber ich begriff schnell, dass dort die Konkurrenz zu gross war und man nur Erfolg haben konnte, wenn man viel Geld besass zum Investieren. Deshalb beschloss ich, nach Puerto Maldonado zurückzukehren, wo es überschaubar war und ich es ruhig angehen konnte... Das ist übrigens ein Vulkanstein aus Arequipa, der durch das Feuer keinen Schaden nimmt."
Der Goldschmied Don Marco verwendet Schalen und Platten aus Vulkanstein, denen hohe Temperaturen nichts anhaben können.
Don Marco:
"Die am meisten verbreitetsten Schmuckstücke in Puerto Maldonado sind Eheringe. Hier heiratet man häufig... Ich brauche keine hochtechnologisierte Ausrüstung, das ist alles in meinem Kopf."
Don Marco fertigt einen Goldring mit Edelstein
Gebet zur seligen Jungfrau vom Berge Karmel
Für schwierige Zeiten
In tausend Nöten,
Hilf mir
Vor meinen Seelenfeinden,
Rette mich.
In meinen Irrtümern,
Erleuchte mich.
In meinen Zweifeln
Und meiner Pein,
Versöhne mich.
In meiner Schwäche,
Stärke mich.
Wenn ich verstossen werde,
Gib mir Mut.
In meinen Versuchungen,
Beschütze mich.
In den schwierigsten Stunden,
Tröste mich.
Mit deinem Mutterherzen
Liebe mich.
Mit Deiner grossen Kraft
Verteidige mich.
Und wenn mein Weg zu Ende ist,
Nimm mich in Deine Arme.
Selige Jungfrau vom Berge Karmel,
Bitte für uns.
Amen.
Sie haben das Universum in drei Welten aufgeteilt: Den Himmel nannten sie "Janan Pacha", was "die hohe Welt" heisst, dorthin, so meinten sie, kommen die guten Leute, die für ihre guten Taten belohnt werden; sie nannten "Jurin Pacha" unsere vergängliche Welt zwischen Geburt und Tod, das bedeutet "niedere Welt"; sie nannten "Uku Pacha" das Zentrum der Erde, was "niedere Welt dort unten" heisst, dort blieben, so meinten sie, die schlechten Leute; und um einen noch aussagekräftigeren Namen zu geben, nannten sie sie auch noch anders, nämlich "Supaipa Vasen", was "Haus des Teufels" heisst. Sie verstanden nicht, dass das Leben nach dem Tode geistlicher Art ist und nicht physischer wie dieses hier. Sie meinten, dass der Frieden in der hohen Welt bedeute, ein ruhiges Leben zu führen, frei von Schufterei und Verdruss, denen wir hier ausgesetzt sind. Und im Gegensatz dazu sei das Leben in der niederen Welt, die wir Hölle nennen, voll von Krankheiten und Leiden, Pflichten und Schinderei, mit denen man sich dort ohne Unterbruch und ohne Aussicht auf Befriedigung herumschlagen müsse. So haben sie das Leben zweigeteilt: Alles Freudige, Vergnügliche und Beschauliche haben sie den guten Leuten zugeschrieben und die Leiden und Schinderei den schlechten Leuten.


Inca Garcilaso de la Vega
(1539–1616)
"Comentarios Reales de los Incas"

Alle Kapitel
Die Geschichte besteht aus Erzählungen aus drei Gegenden, in denen Gold gewonnen wird, und die nach den goldhaltigen Flüssen benannt sind, sowie einer Erzählung aus dem Städtchen Puerto Maldonado, der Hauptstadt der peruanischen Region Madre de Dios.
Made on
Tilda